Fachgespräch am 08.04.2025 Rechtsextremismus erkennen und bekämpfen!
04.05.2025

04.05.2025
Austausch am runden Tisch
Die SPD lud am 8. April 2025 in die Räumlichkeiten der Fraktion am Schlossplatz in Stuttgart ein. Steffen Mayer nahm als Landesvorsitzender des BDK Baden-Württemberg teil.
Krankheitsbedingt war MdL Sascha Binder (SPD) für MdL Dr. Boris Weirauch (SPD) eingesprungen und übernahm eine verkürzte inhaltliche Einführung in das Thema. Die SPD verwies auf einen bereits zwei Jahre zurückliegenden umfassenden Antrag im Landtag zu den Grauen Wölfen.
Das Thema ist nach Ansicht des BDK seitdem wieder etwas aus dem Fokus gerückt, ohne dass die Gruppierung an Gefährlichkeit verloren hat. Eine Ausnahme bildete die EM im letzten Jahr, bei dem der sog. Wolfsgruß (der dem Schweigefuchs sehr ähnelt, der bei der Erziehung von Kindern eingesetzt wird) medial und politisch thematisiert wurde. In der Folge gab es auch eine Diskussion um ein Verbot (in Österreich seit 2019 umgesetzt).
Einführung in das Thema
Erol Ünal, Fachreferent für die Fachstelle Türkischer Rechtsextremismus beim Bund der Alevitischen Jugendlichen in Deutschland e. V. übernahm die Keynote. Er stellte zunächst fest, dass es in der migrantischen Gesellschaft in Deutschland einen zunehmenden Rechtsruck gibt.
Bei den Türkinnen und Türken ließe sich in Teilen ein gesteigerter Nationalismus feststellen, der seinen geschichtliche Ursprung bereits im Osmanischen Reich hat. Ein ehemaliges Weltreich religiös/politisch organisiert in Form eines Kalifats, indem die Scharia Gesetz war.
1923 wurde die türkische Republik ausgerufen, sie blieb aber ein türkischer Nationalstaat mit starkem Nationalismus, so Ünal. Sie wandte sich weiterhin gegen Minderheiten und eine fortschrittliche Assimilierungspolitik.
Das Bild des grauen Wolfs
Das Bild des grauen Wolfs entspringt einer Mythologie, der Ergenekon-Sage. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde sie von nationalistischen Kräften neu interpretiert. Mustafa Kemal Atatürk, Begründer der Republik Türkei, wurde oft mit dem Symbol verbunden. In den 1920ern und 1930er gab es viele Waren und Marken aus der Türkei, die das Zeichen des grauen Wolfs trugen (einige Beispiele hatte der Referent mitgebracht). In den 1940er Jahren verschwand der graue Wolf nach Ausführungen von Ünal dann mit dem Tod Atatürks zunehmend aus dem öffentlichen Bild. Erst in den 1960er erlebte er eine kleine Renaissance, wurde aber erst in den 1990er Jahren wieder so richtig populär.
Ideologie der Grauen Wölfe
An das große Osmanische Reich anknüpfend, entstanden verschiedene Vorstellungen von einer neuen Größe eines großtürkischen – panturanistischen – Reiches, dass alle Turkvölker vereint und beispielsweise bis hin in die sibirische Tundra reicht. In diesem Kontext entwickelte sich auch eine eigene Doktrin, die Doktrin der Neun Lichter (Nationalismus, Idealismus, Ehrgefühl, Wissenschaft, Einheit, Bauernschaft, Freiheit und Selbständigkeit) – Ünal bezeichnete sie als türkisch-islamische Synthese mit großen Feindbildern, insbesondere Armeniern, Griechen, Juden und Aleviten.
Das hat auch Auswirkungen auf die heutige Türkei. Im Unterricht gibt es beispielweise keine Aufklärung über Genozide und Pogrome in der Türkei, so Ünal.
Struktur der Grauen Wölfe
Die heutige Bewegung Graue Wölfe – Ülkücü-Bewegung – ist in Deutschland stark verwurzelt. Die Bundeszentrale für politische Bildung bezeichnet sie als „ultranationalistische, rassistische und gewalttätige Bewegung“[1]. In mehreren Dachverbänden und zahlreichen Verbänden nimmt die Bewegung Einfluss auf das tägliche Leben. Der Verfassungsschutzverbund rechnet der Bewegung in Deutschland 12.100 Personen zu.[2]
Referent Ünal bezifferte die Zahl in Deutschland mit rund 18.000 Mitgliedern, in teils festen Strukturen wie Vereinen und Orts-Verbänden. Der äußere Anstrich wäre häufig ein Arbeiterverein oder ein Deutsch-Türkischer-Kulturverein. Häufig würden die einschlägigen Logos – insbesondere der deutschen Dachverbände offen zur Schau getragen, man müsse also nur mit offenen Augen durchs Leben gehen. Weiterhin gäbe es auch Bezüge zur Rocker- und Bandenkriminalität mit den Turkos MC oder dem Turan e.V.
In Sachen Zahlen gibt auch die Landtagsdrucksache 17/5233 „Graue Wölfe“/„Ülkücü-Bewegung“ in Baden-Württemberg“ Aufschluss, so wurden von 2018 bis 2021 etwa 2.400 Personen der Gruppierung zugerechnet, 2022 stieg die Zahl auf 2.550 an; das IM erklärt dies mit verstärkter Aufklärungsarbeit durch das LfV BW. In der gleichen Kleinen Anfrage ist von etwa 50 Vereinen die Rede, die den drei großen Dachverbänden zugeordnet sind und die der türkisch-rechtsextremistischen Szene einen Organisationsrahmen bilden (der Größe nach):
- „Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e. V.“ („Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu“, ADÜTDF)
- „Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e. V.“ („Avrupa Türk Islam Kültür Dernekleri Birliği“, ATIB)
- „Föderation der Weltordnung in Europa“ („Avrupa Nizamı Âlem Federasyonu“, ANF)
Wie andere radikale oder extremistische Bewegungen setzen die Grauen Wölfe auf Jugendarbeit, Vereinswesen, Sport, nationale Lieder, eigene Medien und Produkte.
Fazit und Forderungen des Keynote-Speakers
Die Grauen Wölfe, so Fazit des Keynote-Speakers, sind gefährlich und die Politik müsse handeln. Er schlug als konkrete Maßnahmen vor:
- Verbot der Organisation
- Verbot der Symbole (Stichwort Wolfsgruß)
- Überwachung und Aufklärung durch den Verfassungsschutz
- Demokratieförderung und Aufklärung
- Extremismusprävention
- Aufgabe der Unterstützung auf kommunaler Ebene (dazu ist wichtig zu erkennen, welche Vereine eine Verbindung haben)
- Lernen von Maßnahmen in anderen Ländern z.B. Österreich und Frankreich
Fazit des Teilnehmers
Eine gute und wichtige Veranstaltung, die aufzeigt, dass Extremismus viele Gesichter hat und dass eine demokratische Gesellschaft in alle Richtungen blicken und wachsam sein muss. Allerdings ist Gesellschaft und Politik angehalten nicht nur hinzuschauen, sondern auch zu handeln. Ausweislich der Zahlen des LfV Baden-Württemberg[3] werden dem nicht-ausländerbezogenen Rechtsextremismus in Baden-Württemberg in den Jahren 2022/2023 etwa 2.460 Personen (davon 800 gewaltorientiere Rechtsextremisten) zugerechnet. Damit ist das Personenpotential vergleichbar hoch mit dem der Grauen Wölfe (vgl. oben: 2.550 für 2022) – das ist sehr beachtlich! Das bedeutet auch, dass Verfassungsschutz und Polizei einen Schwerpunkt setzten sollten. Die vorgetragen Ideen und Forderungen sollten auf die politische Agenda gesetzt werden.
Vor Ort ergaben sich dann noch gute Gespräche mit dem Landesvorsitzenden Gundram Lottmann von der GdP und dem Richterbund Baden-Württemberg, die auch vertreten waren.
Steffen Mayer, BDK-Landesvorsitzender
[1] https://www.bpb.de/themen/rechtsextremismus/dossier-rechtsextremismus/260333/graue-woelfe-eine-der-groessten-rechtsextremen-organisationen-in-deutschland/
[2] https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/hintergruende/DE/auslandsbezogener-extremismus/tuerkischer-rechtsextremismus-in-deutschland.html
[3] https://www.verfassungsschutz-bw.de/,Lde/Startseite/Arbeitsfelder/Zahlen_+Daten_+Fakten+Rechtsextremimus